„Dieser Krieg ist auch unser Krieg“: Berührende Friedensandacht mit eindringlicher Botschaft

Für Auszubildende der Berufsfachschule für Pflegeberufe am Diakonissenkrankenhaus Leipzig gehört es im Rahmen ihres Religionsunterrichtes dazu, eine Friedensandacht auszugestalten. Schülerinnen und Schüler im zweiten Ausbildungsjahr widmeten sich in ihrer Friedensandacht am 11. März 2022 ganz dem Leid der von Krieg und Zerstörung betroffenen Menschen in der Ukraine. Dabei wurde auch der Menschen in Russland gedacht, die derzeit von Repression und Verfolgung betroffen sind.

Im Mittelpunkt der heutigen Ukraine-Friedensandacht stand eine Wortmeldung des 24-jährigen Auszubildenden Robert Schneider. Insgesamt zwölf Jahre seiner Kindheit verbrachte er in Kiew und Moskau – und auch heute hat er in beiden Städten noch viele Freunde. Die berührende Ansprache des jungen Mannes mit deutschem Pass und ukrainisch-russischem Hintergrund ist hier in leicht bearbeiteter und gekürzter Form nachzulesen:


Ansprache im Rahmen Ukraine-Friedensandacht
von Robert Schneider, Auszubildender der Berufsfachschule für Pflegeberufe am Diakonissenkrankenhaus Leipzig:

Wie viel Leid und wie viel Trübsinn | Скільки печалей і скільки морок
Und du kannst keinen Schritt mehr machen | І ти вже не можеш ступити крок
Und du stoppst das Herz und zählst die Verluste | І вже зупиняєш серце, рахуючи втрати
Und so fehlen uns gute Nachrichten | І так нам бракує добрих вістей

Früher in Rom gab es einen Tempel, der zu Ehren des Gottes Janus erbaut wurde. Der Gott „des Anfangs“, „der Öffnung“, „der Grenzen“. In den Zeiten des Krieges waren die Tore dieses Tempels geöffnet, während des Friedens blieben sie zu. In der langen Geschichte des Römischen Reiches waren die Tore nur wenige Male geschlossen.

Im römischen Kalender symbolisiert Janus den Monat Januar als Beginn eines neuen Jahres. Als Klinke für eine Tür ins Neue. Unser neues Jahr hat im Februar mit einem tragischen Ereignis begonnen. Die Tempeltür wurde wieder geöffnet, ein Krieg hat begonnen.

Februar ("лютый"). In der ukrainischen Sprache hat der Begriff auch folgende Bedeutungen: "fürchterlich", "grausam". Genauso unheimlich und schwer ist es zu glauben, was in den letzten Wochen passiert ist. Unsere Welt ist eine andere geworden. 77 Jahre haben wir in Europa in Frieden gelebt. Wir dachten, dass alle Schrecken des Krieges der Vergangenheit angehören. Wir haben gedacht, dass wir in einer Welt des Fortschritts leben. Wir wollen zum Mars fliegen. Wir bauen elektrische Autos, finden erfolgreiche Behandlungen für immer mehr Krankheiten. Bis vor kurzem war das SARS-CoV-2-Virus unsere größte Herausforderung, die bereits unglaublich viel Leid und Tod gebracht hat. Menschen wurden getrennt, aber gleichzeitig auch zusammengebracht. Und was passiert jetzt?

Innerhalb von wenigen blutigen, dunklen und schrecklichen Wochen ist eine Finsternis über unsere Welt gefallen. Die russische Armee beschießt Geburtskliniken, Gasleitungen, Heizkraftwerke und Wohnhäuser in der Ukraine. Sie machen selbst vor Atomkraftwerken keinen Halt. Die Menschen in der Ukraine frieren und haben Hunger, viele von ihnen brauchen Medikamente. Sie müssen sich wegen der Bombenangriffe in U-Bahn-Stationen verstecken und verbringen dort schlaflose Nächte in Angst. Sie müssen bereits unzählige Opfer betrauern in diesem unnötigen und sinnlosen Bruderkrieg.

Im Russischen bedeutet das Wort Frieden („мир“) viel mehr als nur die Abwesenheit von Krieg. Es meint auch die Menschen, die einen umgeben – etwa als Gruppe oder Versammlung. Es kann sich auch auf ein Gebiet, eine Gegend, etwa auf ein Dorf beziehen. Und im größeren Zusammenhang steht „мир“ für die gesamte Erde, für alle Menschen dieser Welt und das gesamte Universum.

So ist das auch mit dem Krieg in der Ukraine, der nicht nur dieses Land, sondern uns alle betrifft. Dieser Krieg ist auch unser Krieg. Die Gefahren für die Ukraine sind auch die Gefahren für Europa – für Frieden und Demokratie, für unsere Grundwerte und für die Menschenrechte. Die Ukraine kämpft derzeit nicht nur um ihr Land und ihre Freiheit. Die mutigen Menschen kämpfen auch für den Frieden in Europa und in der ganzen Welt.

Dieser Krieg muss mit allen Mitteln beendet werden. Nie wieder darf es Krieg auf europäischem Boden geben. In der ganzen Welt sind die Menschen gegen Gewalt und Tod und für den Frieden in der Ukraine. Diese Einigkeit und die große Solidarität könnten eine Lösung und ein Ausweg sein.

Ich rufe alle Menschen auf, sich solidarisch zu zeigen! In allen Ländern der Welt friedlich zu demonstrieren – wie einst zur Friedlichen Revolution, die von Leipzig ausgegangen ist. Und nie aufzugeben!

„Denn die Zukunft gehört dem Buch und nicht der Bombe, dem Frieden und nicht dem Krieg!“ (Victor Hugo)

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